Das Jahr 2020 sollte für die Kletterbranche (Indoor Climbing Industry) ein vielversprechendes und erfolgreiches Jahr werden. Noch im vergangenen Jahr schauten Hallenbetreiber, Klettergriffhersteller, Kletterwandbauer, Sportler, Athleten und Verbände voller Zufriedenheit auf die positive und wirtschaftlich gesunde Entwicklung des Sports.
Auf Fachkongressen, aber auch auf den großen internationalen Sportmessen rückte der Klettersport immer stärker in den Fokus. Die Aussicht auf die Olympischen Spiele und das Wissen, dass der Klettersport darüber auch einem breiteren Publikum vorgestellt werden und eine höhere Medienpräsenz bekommen würde, ließ die Branche und alle Stakeholder zuversichtlich in das laufende Jahr schauen.
Dass es anders kommen sollte, traf uns alle nicht nur überraschend, sondern mit einer solchen Wucht und solch folgenschweren Konsequenzen, wie es sich niemand vorher hätte ausmalen können. Kurzzeitig erschien die Kletterbranche in eine Schockstarre zu verfallen. Von einem auf den anderen Tag war, und ist auch weiterhin, ein Krisenmanagement gefragt, wie es nur wenige von uns jemals vorher angewendet und vorbereitet haben.
Diese Krise ist nicht hausgemacht. Diese Krise basiert nicht auf grundsätzlichen Fehlern in der Branche und der Kletterindustrie. Und auch nach Ende der Corona-Krise wird es wieder eine Nachfrage der Menschen nach Klettersport geben. Der Klettersport wird weiter seine Berechtigung haben, seine positive Entwicklung nehmen und seinen Platz bei den Olympischen Spielen 2021 bekommen.
Jetzt gilt es die Zeit der Krise so professionell und so entschlossen wie möglich zu bewältigen. Es geht darum Lösungen zu finden, Ideen zu entwickeln und die jetzigen Schließzeiten so effektiv wie möglich zu nutzen, um gestärkt aus der Krise und in die Wiedereröffnung zu gehen.
“Auch nach Ende der Corona-Krise wird es wieder eine Nachfrage der Menschen nach Klettersport geben.”
Als wir das DAV Kletterzentrum Wupperwände und unser Bouldercafé - Bahnhof Blo, am 16.03.2020 schließen mussten, habe ich die plötzliche Ungewissheit und das Gefühl der Machtlosigkeit am eigenen Leib erfahren. Dann aber habe ich versucht, meine Gedanken zu ordnen und Schritt für Schritt vorzugehen. Daraus ist ein Krisenplan entstanden, der mir dabei hilft meinen Fokus zu behalten. Ich möchte ihn deshalb mit euch allen teilen.
Aus den aktuellen Entwicklungen lassen sich daher vier Phasen ableiten, in denen konkrete Aufgaben und Maßnahmen anfallen und notwendig werden. Umso strukturierter wir in den vier Phasen der Krisenbewältigung handeln, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Krise weitestgehend gut überstehen und unmittelbar wieder auf eine Erfolgsspur in unserem unternehmerischen Handeln kommen.
Folgende vier Phasen werden uns durch die Krise begleiten:
- Akutphase
- Planungs- und Absicherungsphase
- Strukturierungs- und Stabilisierungsphase
- Wiedereröffnungsphase
Diese vier Phasen lassen sich nicht strikt voneinander abgrenzen und gehen fließend ineinander über.
Akutphase
Noch immer befinden sich viele Kletterhallen in der Akutphase. Der erste Schock ist überwunden und es gilt die ersten und wichtigen Maßnahmen zu ergreifen. Vor allem ist jetzt eine gute Kommunikation gefordert. Kurz zusammengefasst lassen sich folgende Maßnahmen der Akutphase zuordnen:
- Schließung der Halle bekannt geben und auf die juristische Beschlussgrundlage verweisen.
- Zunächst alle Mitarbeiter informieren und Hilfe zur Absicherung des Personals signalisieren. Mitarbeiter im Laufe der Woche fortlaufend informieren und sie teilhaben lassen an den Denk- und Planungsprozessen. Dies gibt ein Gefühl der Sicherheit, auch wenn man selber noch nicht alle Antworten und Lösungen kennt.
- Gesellschafter und Mitinhaber informieren und gemeinsames Handeln abstimmen.
- Öffentlichkeit und Kunden informieren und hier um Zeit bitten, um Antworten auf bestimmte Fragen zu finden, wie z.B. Umgang mit Dauerkarten, Mitgliedschaften etc.
- Unmittelbar alle Maßnahmen zur Absicherung der Mitarbeiter ergreifen. In einigen Ländern greift hier das Instrument der Kurzarbeit, die angezeigt werden muss.
- Kontakt mit dem Steuerberater aufnehmen und über die aktuelle Lage und die Hallenschließung informieren.
- Proaktiv die Bank über die Entwicklung informieren und dort schon früh signalisieren, dass man ein sehr strukturiertes Krisenmanagement betreibt. Hier schon konkret nach möglichen Hilfsangeboten fragen und darum bitte, dass die Bank einen fortlaufend informiert.
- Alle Maßnahmen zur Liquiditätssicherung ergreifen. Exemplarisch:
- Stundung der Steuern und Steuervorauszahlung beantragen
- Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge beantragen
- Stundung und Reduzierung der Miete beantragen (Vermieter umgehend informieren)
- Energieverbrauch in den Hallen senken und Reduzierung der Abschläge für Energiekosten beantragen
- Bestehende laufende Verträge prüfen und ggf. die Pausierung beantragen
Planungs- und Absicherungsphase
Nach der Akutphase kommen wir in die Phase der Planung und Absicherung. Entscheidend ist hier, dass wir alle Maßnahmen zur Liquiditätssicherung unmittelbar umgesetzt haben. Es geht darum eine Grundliquidität zu sichern und die laufenden Ausgaben auf ein Minimum zu reduzieren, um Zeit zu gewinnen die Absicherung des Unternehmens und der Hallen vorzunehmen.
“Die Planungs- und Absicherungsphase bedarf einer gewissen Ruhe und Konzentration.”
Nur wenn es uns gelingt den Druck herauszunehmen und ausreichend Ruhe zu finden, sind wir in der Lage Lösungen für die neue Herausforderung und Situation zu finden. Die Planungs- und Absicherungsphase sollte genutzt werden um folgende Punkte umzusetzen:
- Gespräche mit den Mitarbeitern suchen, bei denen man Sorge hat, dass eine Reduzierung des Gehalts oder Wegfall von Einnahmen zur Existenzangst und Gefährdung der Grundsicherung führt. Ggf. auf staatliche Hilfen verweisen, welche Mitarbeiter jetzt zusätzlich beantragen können.
- Schnellstmöglich sind aussagekräftige, betriebswirtschaftliche Auswertungen und ein vorläufiger Jahresabschluss zum 31.12.2019 vorzubereiten. Nur wenn belastbare Unterlagen vorliegen, können mögliche Soforthilfen und Hilfskredite beantragt werden.
- Umfangreich über die Hilfsangebote der Regierung und Banken für Unternehmen informieren und diese differenziert betrachten und auswerten.
- Weiterhin proaktiv die eigene Bank informieren über alle Mittel, die man im eigenen Betrieb zur Liquiditätssicherung vorgenommen hat. Das sind dringend notwendige, Vertrauen schaffende Maßnahmen.
- Offen über die laufende Finanzierung mit der Bank sprechen und verschiedene Optionen abstimmen.
- Mögliche, angebotenen Soforthilfen der Regierung sofort beantragen, wenn es sich nicht um Kredite und Darlehen handelt, sondern um Hilfsgelder, die nicht zurückgezahlt werden müssen.
- Die angestoßenen Maßnahmen zur Liquiditätssicherung evaluieren und einen Überblick über den noch verbleibenden Liquiditäts- und Finanzbedarf bekommen.
- Stundungen von privaten Steuern der Geschäftsführer und Unternehmensinhaber prüfen und beantragen.
- Kunden über den Umgang mit den laufenden Verträgen informieren und sich juristisch beraten lassen, welcher Umgang nach geltendem Vertragsrecht korrekt ist. Es kann sehr hilfreich sein, Kunden über die aktuelle Notlage zu informieren und kurzfristig um ein Weiterlaufen der bestehenden Verträge zu bitten. Diese Maßnahme sollte primär dazu dienen unmittelbar eine gewisse Liquidität zu sichern, um die Planungs- und Absicherungsphase zu festigen. Sie stellt keine langfristige Überbrückungslösung für die Kletter- und Boulderhallen dar.
Die Planungs- und Absicherungsphase bedarf einer gewissen Ruhe und Konzentration. Erst wenn man die Ergebnisse der angestoßenen Maßnahmen kennt, ist man in der Lage den Liquiditätsbedarf zu ermitteln und verschieden Modelle mit unterschiedlichen Szenarien und Schließzeiten zu berechnen.
Es wird dringend erforderlich sein, auch längere Schließzeiten, oder erneute und spätere Schließzeiten in seinen Planungen und Rechnungen mit einzubeziehen. Man muss davon ausgehen, dass erstellte Planungen und Berechnungen unter Umständen angepasst und korrigiert werden müssen.
Nur eine fundierte Planung ermöglicht es den Kletterhallen, die richtige Entscheidung bei der notwendigen Finanzierung der Schließzeiten zu treffen. Dabei können unterschiedliche private oder über Banken und Kreditinstitute angebotenen Lösungen in Betracht kommen. Mit ein bisschen Kreativität lassen sich vielleicht auch Ideen entwickeln, wie Kletter- und Boulderhallen weitere Einnahmen erzielen können. Beispielsweise können Hallen genau jetzt ihre Community aktivieren und den Verkauf von Punktekarten, Jahreskarten oder Geschenkgutscheinen für Kurse, Kaffee oder Shopartikel ankurbeln, oder Plattformen wie kaufnebenan.de (Germany), Justgiving.com (UK), Fundly.com (U.S.) nutzen um von Kletterern Spenden oder Anzahlungen zu erhalten. Zu beachten ist jedoch, dass durch den Verkauf von Gutscheinen zwar kurzfristig Einnahmen erzielt, aber auch Verbindlichkeiten gegenüber Dritten aufgebaut werden. Nach Wiedereröffnung der Halle führt das zunächst zu einem reduzierten Umsatz.
Strukturierung- und Stabilisierungsphase
Wenn eine Lösung für die finanzielle Absicherung der Schließzeiten ohne Einnahmen gefunden wurde, beginnt die Zeit für Wartung, Pflege und vor allem Betriebsoptimierungen. Diese Phase kann und sollte intensiv genutzt werden, um bestehenden Strukturen und Abläufe zu hinterfragen und anzupassen.
Die Anforderungen an ein modernes und zeitgemäßes Anlagenmanagement sind in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Für viele notwendige Arbeiten innerhalb der 5 Säulen des Anlagenmanagements (s. Artikel im Route Setter Magazine #1) können heute effektivere und schnellerer Lösungen aufgesetzt und angewendet werden.
Jetzt besteht die Chance Umstrukturierungsmaßnahmen vorzunehmen, für die im laufenden Betrieb oftmals nicht die nötige Ruhe und Zeit bleibt.
Im Laufe der nächsten Tage, werden wir immer wieder konkrete Tipps und Hinweise für die Strukturierungs- und Stabilisierungsphase geben.
“Verstärkt werden wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, wie wir den Sport einem breiteren Publikum zugänglich machen können.”
Wiedereröffnungsphase
Es wird zwingend erforderlich sein sich frühzeitig auf die Wiedereröffnung der Hallen vorzubereiten. Dabei sind nicht nur verschiedene Szenarien sondern auch unterschiedlichste Faktoren und neue Ausgangssituationen zu berücksichtigen.
Zunächst einmal sollten wir durchaus von längeren Schließzeiten von Sport- und Freizeitstätten ausgehen. Denkbar ist auch, dass eine Wiedereröffnung mit Einschränkungen und einer Begrenzung der möglichen Besucherzahl verbunden ist.
Je nach Dauer der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie kann es dazu kommen, dass eine mögliche Wiederöffnung in eine Jahreszeit fällt, in der grundsätzlich weniger Besucher in die Hallen kommen.
Es ist denkbar, dass wir nicht unmittelbar an die Besucherzahlen von vor der Krise anknüpfen werden. Viele vorherige Kunden und regelmäßige Besucher werden vielleicht zunächst einen stärkeren Drang verspüren sich draußen aufzuhalten und sportlich zu betätigen. Ausschließen sollten wir auch nicht, dass die Bereitschaft, Geld in Sport- und Freizeit zu investieren zunächst gesunken sein könnte.
Verstärkt werden wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, wie wir den Sport einem breiteren Publikum zugänglich machen können. Es wird darum gehen die Einstiegshürde in den Sport auf verschiedenen Ebenen deutlich zu reduzieren. Dabei geht es sowohl um finanzielle Aspekte, also die Preisgestaltung, als auch um Angebote um sportliche Hürden zu überwinden, zum Beispiel attraktive Kursangebote, die den Klettersport einer erweiterten Zielgruppe zugänglich machen.
Für diese Phase werden wir regelmäßig Ideen entwickeln und zusammen mit Experten Lösungsansätze vorstellen.
Ein konsequentes und fokussiertes Handeln in den vier Phasen der Krisenbewältigung wird sicherlich zu einer Minderung der wirtschaftlichen Folgen führen und einen leichteren Weg zurück auf die Erfolgsspur ermöglichen.